Mehr als nur Essener Platt

Projektvorstellung am 23. September 2022 in Essen-Werden

Maurits Heidutzek (Borbeck) und Marc Real (Werden/Kettwig) laden zur Vorstellung des digitalen Angebots „Platt in Essen“ ein.


Freitag, 23. September 2022 – 18:00 Uhr
Zentrum 60plus, Heckstr. 27, 45239 Essen-Werden


Die Stadt Essen: Das sind heute 50 Stadtteile, die über ihre eigene Geschichte verfügen und bis vor wenigen Generationen kleine Welten für sich waren. Zwischen den einzelnen Orten war meist weites Feld oder Wald, an den heutigen Großstadtdschungel vor mehr als 100 Jahren noch kaum zu denken. So hielten sich im Kleinen auch eigene Sprachen; Dialekte, die sich von Dorf zu Dorf, von Hof zu Hof immer ein wenig veränderten. Allein im Essener Stadtgebiet waren unterschiedliche Varianten zu finden, wie z. B. „Borbecksch“ (Borbeck), „Essensch“ (Innenstadt), „Ollenessensch“ (Altenessen), „Waddisch“ (Werden), „Kettwigsch“ (Kettwig) oder „Berschener“ Platt  (Kettwig vor der Brücke).

Ein wenig ist davon heute noch zu spüren, und zwar im Ruhrdeutschen mit seinem „wat un dat“. Für viele Menschen an Emscher, Berne und Ruhr ist das heute noch die vertraute Umgangssprache. Und sie wissen, dass es nebenan, im nächsten Ort, schon wieder ein klein wenig anders klingen kann als zu Hause. Heißt es jetzt „gehße“ oder „gehste“ (gehst du), „schibbeln“ oder „scheren“ (einen Stein auf dem Wasser hüpfen lassen), „eten“ oder „etten“ (essen), „Stutenkerl“, „Weckmann“ oder gar „Puhmann“ (Hefegebäck zu St. Martin oder Nikolaus)? 

Das hat seinen historischen Grund: In vielen ruhrgebietstypischen Ausdrücken hat sich nämlich das ältere Niederdeutsche – kurz Platt genannt – verewigt. Diese germanische Sprache wurde von den lautlichen Veränderungen nicht erfasst, aus denen das heutige Hochdeutsche hervorgegangen ist. Wer es zum ersten Mal hört, hält das hiesige Platt vielleicht für Niederländisch oder eine Mischung aus Kölsch und Küstenplatt. Und tatsächlich: Irgendwo dazwischen spielte sich die Sprachwelt im Ruhrgebiet vor der Industrialisierung ab.

Platt als Umgangssprache, die jetzt eher mit Gebieten fern im Norden, etwa Ostfriesland oder mit Hamburger Hafenromantik verbunden wird, konnte sich im mittleren Ruhrgebiet besonders in ländlicheren Gebieten noch bis weit ins 20. Jahrhundert halten. Lange gab es aktive Gruppen in den Essener Stadtteilen, die ihr jeweiliges Platt pflegten. So hat das Plattdeutsche im Revier auch heute noch seinen kleinen, aber feinen Liebhaberkreis. Darüber hinaus jedoch ist diese Sprachwelt den meisten Menschen im Ruhrgebiet mittlerweile fast völlig unbekannt. Von ca. 20 Dialektgruppen in den 1950er-Jahren hat sich heute allein der Werdener „Komm-Omend“ erhalten, darüber hinaus noch einige weitere in den Nachbarstädten.

Auch hinter den Stadtgrenzen geht es mit kleinen Sprachunterschieden weiter. Dabei ist unsere Region geprägt von rheinischen und westfälischen Übergangsformen, die je nach Ort in anderen Gewichtungen vorkommen. Das Sprachempfinden der alten Plattsprecher nahm schon kleinste Sprachdifferenzen wahr und sei es die Frage nach einzelnen Lauten gewesen wie bei „Schol“ oder „Schole“, „Schaul“ oder „Schaule“ (Schule). Diese Phänomene konnten sich kleinteilig erhalten, war das Ruhrgebiet doch längste Zeit eher dünn besiedelt und die Wege zwischen den Siedlungen weit. Die Industrialisierung mit viel Migration und häufigen Wohnortwechseln der Arbeiter baute dann die gravierendsten Unterschiede immer weiter ab, aber spezifische Erkennungsmerkmale je nach Ort blieben.

Eine zentrale Anlaufstelle für alle, die wissen wollen, wie einst im mittleren Ruhrgebiet gesprochen wurde. 

Mit dem Angebot „Platt in Essen“ (platt-in-essen.de) möchten die Initiatoren Maurits Heidutzek und Marc Real diese alte Sprachwelt des Ruhrgebiets wieder erlebbar machen. Platt in und um Essen soll jetzt digital werden. Waren bisher nur wenige Quellen über das Internet verstreut, soll das neue Angebot eine zentrale Anlaufstelle für alle sein, die wissen wollen, wie einst im mittleren Ruhrgebiet gesprochen wurde. 

Selbst nicht auf Platt, dafür noch mit Platt aufgewachsen, fasziniert die Verfasser dieser Seite die Welt der hiesigen Dialekte, die sich in so vielen regionaltypischen Ausdrücken noch heute zeigt. Sei es „spinksen“, „Fott“, „Knies“, „usselig“ oder „Mösch“. Wo kommen sie her? Wie unterschied sich die Sprache von Ort zu Ort? Die nicht genormte Vielfalt von Platt ist zugleich eine große Stärke und eine große Schwäche dieser Sprache. Ihre Welt neu zu entdecken ist schwierig, sie zu erleben aber entschädigt die Mühe. Das möchte Platt-in-Essen.de dokumentieren und – immer mit hochdeutscher Übersetzung – zugänglich machen. Dabei will sich das Projekt bewusst nicht streng an die heutigen Verwaltungsgrenzen halten, sondern über die Stadtgrenzen hinaus erforschen, wie die einzelnen Orte sprachlich zusammenhängen.

Den Grundstock der Seite bilden 65 Spracherhebungsbögen aus den Jahren 1877 bis 1887, die von einem der Pioniere der deutschen Dialektforschung, Georg Wenker (1852 – 1911), zusammengetragen wurden. Im Rahmen eines Transliterationsprojekts hat das Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas an der Philipps-Universität Marburg diese Bögen unter einer Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht. Sie wurden in diesem Jahr für Essen und Umgebung von Marc Real transliteriert. Darin enthalten sind bereits alle Erhebungsorte im heutigen Essen und Mülheim an der Ruhr, insgesamt lassen sich schon viele weitere Sprachbeispiele zwischen Duisburg, Bochum, Recklinghausen und Velbert entdecken.

Die Seite befindet sich derzeit noch im Aufbau und soll stetig erweitert werden. Etwa um Aufsätze zum Platt in und um Essen, Grafiken, nützliche Links und Biographien von Personen, die sich für ihre Sprache eingesetzt haben. Kurzum: Möglichst viel Wissen rund um die jeweiligen Ortsdialekte. Bei allen Unterschieden soll das Verbindende der Region betont werden. Platt in Essen – da steckt mehr drin als 50 Stadtteile und zehn Nachbarstädte. Dazu laden wir alle sprach- und heimatgeschichtlich Interessierten, insbesondere Vertreter von Bürger- und Heimatvereinen dazu ein, sich und ihre Ortsdialekte vorzustellen und vielleicht auch ihr Wissen in dieses Projekt einzubringen.


Zu den Initiatoren:

  • Maurits Heidutzek (* 1992) aus Essen, Kindheitspädagoge 
  • Marc Real (* 1998) aus Essen, Student der Germanistik und Geschichte

Platt in Essen
c/o Marc Real
Ringstr. 25, 45219 Essen
Kontakt: info@platt-in-essen.de
(0 17 8) 6 86 10 26

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2 Kommentare

  1. Rahmann, Armin

    Super, viel Erfolg !

  2. Jürgen Ruthmann

    Ich hatte in den letzten Jahren mit dem Heimatverein Hattingen/Ruhr den plattdeutschen nammidach mit dem Heimat- und Geschichts-
    verein Sprockhövel (Hans-Gert Burggräfe) und dem Stiepeler Verein für
    Heimatforschung (Wilhelm Hensing) ins Leben gerufen. Beide führen “
    die Tradition in ihren Vereinen fort – da bleibt dann aber auch keine
    Zeit aufgrund des Alters Zeit für außervereinsmäßige Aktivitäten.
    Durch die Zuwanderung vieler Nationen seit 100 Jahren, die z.T. auf
    der Henrichshütte Arbeit fanden, wurde Hattingen ein „melting pot“, der aber auch gesellschaftlich zusammenwuchs und so auch das plattdeutsche in den Hintergrund rückte. Die „Heimat am Mittag“ hatte
    früher die Glosse „wat use de hemme vertellt“. Heimatforscher Dr. Eversberg (Ausgrabung Isenberg) hat ein Buch über plattdeutsch geschrieben. Die Heimatvereine Ennepetal haben jeder für sich platt-deutsch, praktizieren dieses aber nur vereinsintern. vlg jürgen ruthmann

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